Wilma und Jessica, zwei Schülerinnen unserer finnischen Partnerschule, dem Gymnasium Närpes, bereiten gerade ihre Präsentation vor, als wir uns nach der Pause zur Darstellendes-Spiel-Stunde in die Aula schleichen. Sie sind mit ihren beiden Lehrerinnen Jenny und Lilian und ihrer Schüleraustauschgruppe von Mittwoch, den 23. November, bis Sonntag, den 27. November 2016, aus der 9500-Seelen-Gemeinde Närpes zu uns gereist, um sich das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, die Stadt Bremen und am Abschlusstag Hamburg anzuschauen. Schon seit vielen Jahren findet dieser Austausch jetzt statt, wir berichteten. Ihren Vortrag über Finnland wollen wir zusammen mit dem Vorkurs erleben. Da beide Schülergruppen Deutsch lernen, fanden es die Lehrer sinnvoll, diese zueinander zu bringen. Wir beginnen vorerst mit einem kleinen Warming-Up-Spiel, das Vorkurs- und Austauschteilnehmende einander näher bringen soll. „Toaster-Mixer-Elefant“ sorgt für entspannte Stimmung, da viele die darzustellenden Figuren verwechseln und sich am Ende springend im Kreis drehen. Auch bei der anschließenden Vorstellungsrunde wird es lustig, denn unsere Namen, Hobbys und Herkunftsländer sind allesamt unterschiedlich und deshalb manchmal schwierig szenisch zu zeigen. Vom Lesen über Fußball zum Shisha-Rauchen ist alles dabei!
Den Vortrag unserer finnischen Gäste über ihr Heimatland, die Kultur und Sprache hören wir uns gemeinsam mit den Vorkursschülern an. Gesprochen wird dann doch mehr Denglisch als Deutsch, aber das ist kein Problem. So erfahren wir, dass unsere Partner zu einer schwedischsprachigen Minderheit gehören, die um 1300 nach Finnland eingewandert ist und nur 5,5% der Bevölkerung ausmacht. Dazu muss man wissen, dass Finnland vom 12. Jahrhundert bis 1809 politisch zu Schweden gehörte. Unsere Partner sprechen in einem Dialekt, der vergleichbar mit Schweizerdeutsch im Verhältnis zum Hochdeutschen ist. Da Finnisch und Schwedisch jedoch sehr unterschiedlich sind, müssen sie Finnisch in der Schule als Fremdsprache lernen. Sie haben daher ab der 3. Klasse Finnisch und ab der 6. Klasse auch Englisch.
Närpes liegt in der westfinnischen Landschaft Österbotten, 80 km südlich der Stadt Vaasa, an der Küste des Bottnischen Meerbusens. Auf einen Quadratkilometer kommen in Finnland nur 16 Menschen, verglichen mit Deutschland, das 225 Einwohner/km² hat, ist es also sehr dünn besiedelt. Obwohl Finnland fast genauso groß ist wie Deutschland, hat es nur ca. 5,5 Millionen Einwohner. Das Schulsystem ist durch die geringe Schülerzahl anders aufgebaut als unseres. Der sechsjährigen Grundschule folgt eine dreijährige Einheitsmittelschule, ein zehntes Mittelstufenjahr kann belegt werden. Danach ist der Übergang ans Gymnasium möglich. Oft sind die Klassen nur 15-25-Schüler-stark und es gibt in der Oberstufe des Gymnasiums Närpes nur zwei Jahrgänge. Es gibt viele AGs wie Sport, Tanzen und Musik, zu denen auch Auftritte gehören. Als Fremdsprachen können Spanisch, Chinesisch, Russisch oder Deutsch gewählt werden.
Die Kultur ist ebenfalls anders. Viele finnische Familien haben ein sogenanntes Sommerhaus. Das ist wie eine eigene Ferienhütte, oft auf einer der unzähligen, kleinen Inseln gelegen, bei der man die Sommerwochenenden mit Beerensammeln, Grillabenden mit häufig selbst erlegtem Elch und Fotografieren verbringt. Oft gibt es keinen Stromanschluss, aber das ist nicht schlimm: Die vielen Seen und Inseln machen die Natur zum besten Freund. Abends kommt ein Besuch im Närpes-Open-Air Drehtheater in Frage. Die kleine, runde Zuschauertribüne mitten im Wald ist um 360° drehbar. Um sie herum können Autos fahren, Pferde reiten oder Menschen rennen. Man sitzt als Zuschauer sozusagen mitten im Stück, das ist in den kurzen Nächten des Sommers ein echtes Ereignis.
Wanderarbeiter gibt es natürlich auch, viele sind aus dem Balkan, aber auch aus Vietnam und Thailand eingereist, um in einem der riesigen Gewächshäuser der Gemeinde Närpes zu arbeiten. Diese haben Tradition im Anbau von Tomaten und Gurken, der etwa 70% der gesamten finnischen Tomaten- und ein Drittel der inländischen Gurkenzucht ausmacht. Außerdem ist die Metallindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. In dieser Hinsicht ist der finnische Markt von Europa abhängig.
Wir klatschen laut, als Jenny Lindberg, die finnische Leiterin des Austauschprojektes, das letzte Wort gesprochen hat. Dann müssen wir uns auch schon in unseren Unterricht verabschieden. Am Sonntag wird es dann für „unsere“ Finnen nach fünf aufregenden Tagen wieder nach Hause gehen - in das stille Land, in dem doch eine andere Sprache gesprochen wird, als wir dachten.
von Nele, Judith und Leonie
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