Von Sommerhäusern und Hightech-Kindergärten

(Fortsetzung) Dort in der Großstadt wird beides gesprochen. Während die Worte “ein Weg”, die wir auf einem Busticket fanden, im Schwedischen “enkel resa” heißen, sagt man auf finnisch: “yhdensuuntainen”. Und das ist kein Einzelfall, auch wenn die finnische der schwedischen Sprache sehr ähnelt, gibt es in der Länge der Worte enorme Unterschiede. Ein finnischer Vater erklärte uns, dass die Sprache, die sie dort in Närpes, dem Ort in dem unsere Austauschschüler wohnen, vor rund 500 Jahren in Stockholm gesprochen wurde. Also könnten sich Finnen rund um Närpes prima mit 500 Jahre alten Schweden unterhalten. Ist aber auch egal!

In Närpes gibt es eine “Hauptstraße” quer durch den kleinen Ort, auf der man keine 5 Meter fährt, ohne Bekannte zu treffen, denen man dann hysterisch zuwinkt, denn hier kennt jeder jeden. Meine Austauschschülerin erklärte mir, dass sie und ihre Freundin am liebsten den ganzen Tag diese Straße auf und ab fahren und reden. Kein Problem, da dort jeder sein eigenes Auto hat. Somit sah man eher selten einen Fahrradfahrer oder gar einen Fußgänger. An dieser kleinen Straße allerdings finden sich dann vereinzelt die wichtigsten Gebäude, wie Schule, Krankenhaus oder Supermarkt. Bekannt ist Närpes allerdings hauptsächlich für die vielen Gewächshäuser, in denen Tausende von Tomaten angepflanzt werden, die aber nie exportiert werden, sondern nur von Närpes’ Einwohnern und umzu in Massen gegessen werden.

Dort trafen wir also mit dem Bus gegen Abend des ersten Tages an der Schule ein. Wir setzten uns dann zum ersten von vielen Malen in die Autos unserer Austauschschüler und wurden einfach so von unseren Mitreisenden des ganzen langen Tages getrennt, ohne genau zu wissen, wann und wo wir diese wieder treffen würden. Wahrscheinlich lernten nun die meisten von uns Eltern, Haustiere, Geschwister und ihre Schlafgelegenheit für die nächsten Tage kennen.

Doch wir konnten uns schnell wieder mit unseren deutschen Begleitern über die neuen Eindrücke austauschen, als wir uns, um 8:50 Uhr, am nächsten Morgen alle wieder in der Schule trafen. Was für die meisten nun nach langweiligem schwedischen Unterricht, bei dem man kein Wort versteht, klingt, war eher eine Spaßveranstaltung. Das fast peinliche Vorstellen vor der ganzen Schule, die aus rund 100-150 Schülern und 10 Lehrern besteht, fand in der winzigen Turnhalle statt, welche für größere Versammlungen jeder Art genutzt wird. Wir wurden einzeln nach vorne zu unserem finnischen Partner gerufen, wo wir etwas auf deutsch über uns erzählen sollten. Danach besuchten wir entweder einen Unterricht oder genossen eine Freistunde. Im Physikraum, der mit allen möglichen, fast überflüssigen Hightech-Dingen ausgestattet war, saßen nur 7 Schüler. Wir konnten kaum glauben, dass dies der komplette Kurs war. Keiner redete oder machte gar was anderes. Jeder saß da und hörte dem ohne Pause redenden Lehrer stundenlang zu, der alles an einem Whiteboard demonstrierte, welches dort in jedem Raum aufzufinden ist. Danach saßen wir in einer Art Aufenthaltsraum, denn eine Aula oder ähnliches, in der man Pausen oder Freistunden verbringt, gibt es nicht. Weshalb auch bei so wenig Schülern? Hier standen Ledersofas, ein Flachbildschirm, eine Gamecube, Gitarren, das Licht war gedämmt, und man konnte sich Laptops leihen. So saßen wir dort also im Dunkeln mit Decken, guckten den Film “Oben” und warfen einen Blick ins Internet. Wenn dann noch das Jacken-nebeneinander-im-Gang-aufhängen dazu kommt, kommt man sich tatsächlich vor wie in einem Hightech-Kindergarten. “Wir vertrauen uns hier halt gegenseitig”, war die Antwort auf unsere Frage, ob sie keine Angst hätten, dass jemand etwas klaut. Es fehlte nur noch, dass jeder seine Schuhe auszieht und sich Pantoffeln schnappt. Soweit kam es aber jedoch nicht. In der Schule aßen wir, umsonst, und jeder konnte sich sein Essen, welches unseres Erachtens doch besser schmeckte als in unseren Schulen, selbst zusammenstellen. Nach der Schule aßen wir in einem Gewächshaus. Hört sich komisch an, war aber auch lecker. Danach besichtigten wir Närpes mit dem Bus, was einen nicht unbedingt umhaut. Die Landschaft ist zwar umwerfend, aber andere besondere Dinge gibt es dort nun mal nicht zu sehen.

Mit den Briefkästen ist das in Finnland auch so eine ganz eigene Geschichte. Die Briefkästen einer  “Nachbarschaft”, sofern man das in manchen Gegenden so nennen kann, stehen alle zusammen, um es dem Postboten zu erleichtern, in Finnland Briefe zu zustellen. Befindet man sich nämlich an einem Briefkasten, heißt das noch lange nicht, dass der Betreffende nun gleich um die Ecke wohnt. Der Briefkasten der Familie meines Finnen z.B. stand zwar in der gleichen Straße, doch diese war lang und der Briefkasten soweit entfernt, dass sie ihre Post mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit abholten.

Am Freitagabend trafen wir uns und stiegen in einen von den Schülern selbst gemieteten Bus, der uns zu einer Art Discogelände fuhr. O.k., es war für die deutschen Disco-Verhältnisse sehr leer dort, doch trafen wir auf viele, sich liebende Finnen. Wir wissen nicht, ob das in Finnland so ist, doch bei uns legen sich ja normalerweise keine frisch gefundenen Pärchen gemeinsam auf kleine Erhebungen am Rande der Tanzfläche und stören sich nicht an der fehlenden Privatsphäre. Wir erklären uns das so, dass die Finnen sich sehr selten sehen, weil sie ja so weit auseinander wohnen und wenn sie dann mal aufeinander treffen, dann freuen sie sich sehr und quatschen dann halt nicht lang.

Den nächsten Tag, Samstag, verbrachten wir teils in den Familien, die uns teilweise ihre weiteren Familiemitglieder vorstellten oder uns ihre Sommerhäuser zeigten und anderes.  Dann jedoch trafen wir uns alle in dem Sommerhaus eines Finnen. Das Sommerhaus einer finnischen Familie ist meist ein kleines Holzhaus, das an der Küste irgendwo an einem Waldrand steht, in denen sich die Familien, hauptsächlich im Sommer treffen und das auch Schlafgelegenheiten bietet. Fast jede Familie dort hat eins. Wir trafen uns also alle in einem sehr großen, idyllischen Haus, vor dem die Finnen schon einen riesigen Tisch aufgebaut hatten. Es gab Flusskrebse, die eigentlich jeder Finne mag. Wir fuhren Boot und machten ein Feuerwerk, was nur zweimal im Jahr gemacht werden darf, und zwar an Silvester und an eben diesem besonderen Samstag, da die Finnen den offiziellen Abschied der Sommerhaus-Saison feierten. Wir gingen in die Sauna und waren sogar schwimmen, was eigentlich etwas kalt war. Die meisten schliefen dort, wenn auch auf dem Boden, oder zu dritt in zwei Betten. Ganz reibungslos lief die ganze Aktion jedoch nicht ab, denn als mehrere Finnen, die kaum jemand kannte, uneingeladen dazu stießen und um 6 Uhr morgens auf die Idee kamen uns etwas zu provozieren und aufzumischen, gab es einige Unstimmigkeiten.

Wir wachten auf, räumten auf und fuhren zurück in die Familien. Später trafen wir uns alle um Pizza zu essen und von dort aus entweder zum Fußball, Reiten oder zurück in die Familien zu gehen.

Am nächsten Tag besichtigten wir Vaasa. Eine Großstadt mit Fußbodenheißung, DRAUßEN! Wohl dafür, dass es nicht friert und die Leute ausrutschen. Dort verbrachten wir unsere Zeit und besichtigten einige Gebäude, nachdem wir einen Spaziergang durch Wäldchen und um Seen gemacht hatten, um das Weltnaturerbe Finnlands zu sehen. Es ist wohl so, dass Finnland jedes Jahr, an allen Seiten, einen Zentimeter aus dem Meer wächst. Den Rest des Tages verbrachten wir in den Familien. Es war immerhin der letzte Tag, und so genossen wir, teilweise etwas traurig, die letzten Stunden mit unseren Finnen und ihren Familien, die so manchem echt ans Herz gewachsen waren.

Am Dienstagmorgen fuhren wir dann zur Schule, verabschiedeten uns, stiegen wieder in einen Bus zum Flughafen und flogen mit geteilten Gefühlen nach Hause.

Teilweise konnten wir den Kontakt zu unseren Finnen aufrecht erhalten und freuen uns darüber, dass diese privat planen, uns im Frühling nächsten Jahres wieder zu besuchen, mit dem Angebot, dass auch wir wieder bei ihnen willkommen sein würden.

Unserer Meinung nach war das ein toller Urlaub mit vielen tollen Erfahrungen im kalten Norden, den wir allen Nachfolgern für das nächste Jahr empfehlen können!

Und wir hoffen, dass der Kontakt zwischen unserem und dem finnischen Gymnasium noch viele weitere Jahre anhält.

 

 

 

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